Rasse

Gefährdete Nutztierrasse des Jahres 2020 – Das Pustertaler Rind

Klaus Schedel

Aus der vermutlich 1804 erstmalig erfolgten Erwähnung als „Pusterthaler Tyroler Vieh“ kann gefolgert werden, daß die Rasse zumindest Ende des 18. Jahrhunderts in der Donaumonarchie allgemein bekannt war. Die Rasse soll sich aus der damals auch im Pustertal weit verbreiteten schwarzbraunen Duxer Rasse auf der Basis einer roten ostalpinen Urrasse entwickelt haben, die zudem auch noch Anteile des silbergrauen Podolischen Rindes führte. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden unter dem Oberbegriff „Tiroler Race“ die Rassen Duxer, Zillerthaler sowie Pusterthaler zusammengefasst. 1873 waren die „Pusterthaler“ überregional auf der Internationalen landwirtschaftlichen Ausstellung in Wien zu sehen. Eine bei dieser Gelegenheit angefertigte colorierte Darstellung zeigt drei Pustertaler Kühe, bei denen die farbigen Anteile noch bei Weitem überwiegen. Pustertaler, in Südtirol auch als „Pusterer Rinder“ bezeichnet, zeigen eine auffällige und ungewöhnliche Farbzeichnung. Ein breites weißes Band erstreckt sich ausgehend vom Nacken über Widerrist, Rücken, Schwanz und Euterspiegel bauchwärts bis zur Brust und häufig bis zum Kehlansatz. Dabei mischt sich das Weiß unregelmäßig in die seitlichen farbigen Körperpartien, häufig zackenoder flammenförmig ein. Häufig werden die farbigen Körperpartien, also vorwiegend Rumpfseiten, Kopf und Unterfüße, die sich entweder ruß-schwarz bis blauschimmlig oder in einem zwischen Fuchsrot über leuchtend Kirschrot bis Kastanienrotbraun variierenden Farbton zeigen, inselartig vom Weiß umschlossen und ergeben ein gesprenkeltes auffälliges Farbmuster. Die so gezeichneten Tiere werden als Sprinzen, Tiere mit größeren zusammenhängenden Farbflächen als Schecken bezeichnet, wobei es alle erdenklichen Übergänge zwischen den genannten Farbverteilungsmustern bis hin zu fast rein weißen Tieren gibt, die nur noch gefärbte Ohren, Augenumrandung und Flotzmaul aufweisen.

Foto: Milerski

Schwarze Tiere haben schiefergraue Nasenspiegel, und schwarze Klauen und Hornspitzen, bei den roten Individuen sind diese Körperteile gelbrot bis rotbraun pigmentiert. Die Rasse zeichnet sich durch eine auch optisch auffällige Länge der Mittelhand sowie durch die große Muskelfülle im Nacken, im Schulterbereich sowie der Hinterhand in Verbindung mit massiven Gliedmaßen aus. Die Hörner sind zunächst nach außen und dann nach vorne und aufwärts gebogen. Das Pustertaler Rind kam früher als schwerer Talschlag sowie auf den bis über 1400 m hoch gelegenen Höfen als leichterer Bergschlag vor. Kühe wiegen zwischen 500-900 kg bei einer Widerristhöhe zwischen 125-146 cm, Bullen wiegen zwischen 650-1200 kg bei einer Widerristhöhe zwischen 130-155 cm. Die Jahresmilchmenge lag historisch zwischen 2500 bis 4400 kg. Bei karger Fütterung konnten Pustertaler Rinder deutlich höhere Gewichte als benachbarte Rassen erreichen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der 1. Weltkrieges galten die Pustertaler als die schwerste und als eine der milchergiebigsten alpinen Rinderrassen der Donaumonarchie. Zwischen 1909 und 1913 wurden jährlich zwischen 145 bis 278 Kühe im Herdbuch geführt. Damals belief sich der Rassebestand noch auf 10.000 bis 12.000 Tiere. 1927 wurde durch das Landwirtschaftsinspektorat ein Körverbot der rotweißen Bullen verfügt um die rotweißen Pustertaler durch die Verwendung von Bullen der Pinzgauer Rasse zu verdrängen. Die Verwendung von schwarzweißen Bullen auf gleichfarbige Kühe wurde zunächst bis 1968 erlaubt, danach mehr oder weniger offiziell geduldet. 1956 gab es noch 800 bis 1000 schwarzweiße Individuen, nach anderen Quellen betrug 1962 die Gesamtpopulation 600-700 Tiere. 1963 trat ein neues italienisches Gesetz im Hinblick auf die Körung der Stiere und ihren Deckeinsatz in Kraft. Dem darin geforderten Gedanken der notwendigen Rassereinheit konnten die Pustertaler Züchter mangels des dazu notwendigen Herdbuchs nicht genügen, was zu einer weiteren Bestandsreduzierung führte. Die Wende kam erst 1983, als die GEH auf die dramatische Bestandssituation des seit den 1920er Jahren völlig in Vergessenheit geraten Pustertaler Viehs aufmerksam gemacht wurde und sich unverzüglich entschloss ein einzigartiges Projekt zur Rettung einer Rinderrasse zu starten. Innerhalb eines Jahres gelang es der GEH mittels Zeitungsannoncen den gesamten Tierbestand im Pustertal zu ermitteln und bei den folgenden Hofbesuchen die reinrassigen Tiere zu zählen und zu dokumentieren, die vorhandenen Blutlinien zu ermitteln und den Kontakt zwischen den sich bisher unbekannten Züchtern herzustellen. Besonders dramatisch verlief die Rettung eines Bullen, der den einzigen Vertreter einer unverzichtbaren Blutlinie darstellte. Dieses Tier befand sich schon beim Metzger und konnte nur durch die sofortige Intervention der GEH-Mitarbeiter in Verbindung mit einer außerordentlichen Vergütung vor der anstehenden Schlachtung bewahrt werden. So konnten in 21 Betrieben 84 Tiere mit 3 männlichen und weiteren 10 weiblichen Blutlinien ermittelt werden. Nachdem sehr schnell deutlich wurde, daß von Seiten der Südtiroler Rinderzuchtverbände und Behörden trotz der angebotenen logistischen Unterstützung durch die GEH weitgehendes Desinteresse an Erhaltungsmaßnahmen im Land artikuliert worden war, entschlossen sich 1984 die am Projekt Beteiligten wegen der drohenden Gefahr des alsbaldigen Aussterbens der Rasse infolge Inzucht Tiere der wichtigsten Blutlinien nach Deutschland zu exportieren. Ab 1984 wurden mit finanzieller Unterstützung von GEH-Mitgliedern 13 Tiere nach Deutschland gebracht und erstmalig in der Rassengeschichte kurzfristig Sperma von drei Bullen gewonnen und eingesetzt. Zusätzlich konnte der Nationale Zuchtverband Italiens (AIA) von der GEH dazu veranlaßt werden, Sperma von 2 weiteren Bullen in Südtirol zu gewinnen. Durch all diese Maßnahmen war es gelungen, einerseits den Niedergang der Rasse in ihrer Heimat zu stoppen, als auch durch Vernetzung der Züchter in Südtirol und Deutschland den jeweiligen Tierbestand langsam anzuheben. Bis heute verheerend auf die Erhaltungszucht wirken sich die ab 1990 durch einige Südtiroler Stammzüchter vorgenommenen Einkreuzungen mit der farblich ähnlich auffälligen Vogesenrasse auf einen großen Teil der Pustertaler Population aus. Erst 1994 übernahm in Südtirol derjenige Zuchtverband die Betreuung der Pustertaler, der sie 10 Jahre zuvor explizit abgelehnt hatte 1998 wurden die ersten Tiere nach Österreich eingeführt, woraus sich in den Folgejahren auch dank staatlicher Förderung sehr schnell die bisher größte nationale Population entwikkelte. Ab 2015 wurden dann die ersten Pustertaler in die Schweiz eingeführt.

Foto: Milerski

2017 betrug der Bestand an Herdbuchkühen in Deutschland 135 Kühe, in Südtirol 575 Tiere und in Österreich 823 Kühe. Einen Hinweis auf den Prozentsatz reinrassiger Tiere gibt der Fremdblutanteil der bisher im jeweiligen Land geborenen Besamungsbullen, der in Deutschland bei 25%, in Südtirol bei 41% und in Österreich gar bei 85% lag. Wie sich am Beispiel des Pustertaler Rindes zeigt, sind gefährdete Nutztierrassen in ihrem Bestand nicht nur durch den zahlenmäßigen Schwund der Individuen sondern auch, und teilweise in noch viel höherem Maße durch die Einkreuzung phänotypisch ähnlicher Rassen bedroht.

Kontakt: GEH-Rassebetreuer
Dr. Klaus Schedel,
Bergstr. 22, 87700 Memmingen,
Telefon: 0175-5914472,
Mail: klaus.schedel@t-online.de

Der Artikel ist mit freundl. Genehmigung der GEH aus „ARCHE NOVA 4/2019“ entnommen.

Uns gibt es in Dunkel,
halb und halb
in weiß,

und natürlich auch in rot/weiß.

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